Aktuelle Predigt

Liebe Schwestern und Brüder,
„Da hilft nur eine starke Predigt, sonst ist die schöne Stadt erledigt!“ So klingt es in einem Kindermusical über Jona und die Stadt Ninive. Vielleicht erinnern Sie sich noch, wir hatten hier auch schon mal ein Kindermusical "Jona" mit einem großen Wal. Mittlerweile – der neuen Predigttextordnung sei Dank – ist Jona erwachsen geworden. Endlich darf er auch einmal jenseits des Kindergottesdienstes gepredigt werden. „Da hilft nur eine starke Predigt, sonst ist die schöne Stadt erledigt!“ Und Jona so: „Nein!“ Und Gott so: „Doch!“ Und der Wal so: „Ohhh!“ Kinderbotschaft: „Tu doch doch bitte einfach, was man dir sagt, dann landeste nicht im Wal.“ Was bleibt darüber hinaus für uns Erwachsene? Wie sieht die Jonageschichte FSK 16 aus?

Es geschah das Wort des Herrn zu Jona, dem Sohn Amittais: Mache dich auf und geh in die große Stadt Ninive und predige gegen sie; denn ich habe von ihrer Schlechtigkeit erfahren.

Als unsere Geschichte aufgeschrieben wurde, gab es das assyrische Ninive im heutigen Irak gar nicht mehr. Es wurde schon Hunderte von Jahren zuvor von den Medern und Babyloniern platt gemacht. Und trotzdem stand der Name Ninive immer noch für absolute Gottlosigkeit. Für einen Ort, wo man nie, nie hinmöchte. Vielleicht überlegen Sie für sich einmal, was Ihr persönliches „Ninive“ ist, der Ort, an den Sie keine zehn Pferde kriegen? Das Lebensthema, das Sie tief in sich verbuddelt haben, um sich nicht mehr damit beschäftigen zu müssen. Vielleicht ein konkreter Ort, an dem Sie nicht sicher waren, eine Verletzung, die nur mühsam vernarbte, ein Konflikt, über den hauchdünn Gras gewachsen ist. Eine Angst, die Sie nicht auszusprechen wagen.

Mache dich auf, sagt Gott, und geh in die große Stadt. Also, wenn Gott heute zu mir spräche, um mich, sagen wir, nach Pjöngjang zu schicken, um dort gegen die Mächtigen zu predigen… Wissen Sie was? Ich wäre auch lieber nach Spanien gegangen…

Jona machte sich auf und wollte vor dem Herrn nach Tarsis fliehen und kam hinab nach Jafo. Und als er ein Schiff fand, das nach Tarsis fahren wollte, gab er Fährgeld und trat hinein, um mit ihnen nach Tarsis zu fahren, weit weg vom Herrn.

Unterstellen wir mal, dass Jona ein frommer Mann gewesen ist, oder zumindest ein halbfrommer, er betet regelmäßig zu Gott, seiner festen Burg, er findet Ruhe und Geborgenheit in seinem Glauben, vielleicht sogar Halt in der Gemeinde. Und dann will ihn diese feste Burg plötzlich in den Außendienst schicken. Dahin, wo er nie, nie hinwollte. Keine Wellnessreligion der Achtsamkeit und Selbstbestätigung, sondern ein Auftrag des Herrn, der Jona an seine Grenzen bringt. Erst da fängt Religion an: In der Grenzüberschreitung, im Über-sich-hinauswachsen. Frei nach John F. Kennedy: Frage nicht, was dein Gott für dich tun kann, sondern was du für deinen Gott tun kannst. Vielleicht sogar dort, wo du nie, nie hinwolltest.

Da ließ der Herr einen großen Wind aufs Meer kommen, und es erhob sich ein großes Ungewitter auf dem Meer, dass man meinte, das Schiff würde zerbrechen. Und die Schiffsleute fürchteten sich und schrien, ein jeder zu seinem Gott, und warfen die Ladung, die im Schiff war, ins Meer, dass es leichter würde. Aber Jona war hinunter in das Schiff gestiegen, lag und schlief.

Augen zu, Decke über den Kopf und flugs den Schlaf des Ungerechten geschlafen. Wird schon nichts passieren. Und überhaupt: Was kann ich kleiner Jona denn schon tun, um 120.000 Menschen zu retten? Jona kuschelt sich auf See ein in seiner neuen Komfortzonenkoje. Nichts hören. Nichts sehen. Nichts beten. Es ist derselbe Schlaf, den die Jünger Jesu schliefen im Garten Gethsemane. „Konntet ihr denn nicht eine Stunde mit mir wachen?“ fragt ein verzweifelter Jesus. Konnten sie nicht. Wer schläft, sündigt nicht, sagt der Volksmund. Trotzdem ist mancher Schlaf Sünde, nämlich der, der die Augen schließt vor der Not des Mitmenschen. Der multireligiösen Schiffbesatzung lehrt die Seenot Beten, den frommen bis halbfrommen Jona nur Schlafen. Wer schläft, betet nicht. Undenkbar für die anderen im Boot, undenkbar für die fremd-fromme Seefahrt.

Da trat zu ihm der Schiffsherr und sprach zu ihm: Was schläfst du? Steh auf, rufe deinen Gott an! Vielleicht wird dieser Gott an uns gedenken, dass wir nicht umkommen. Und einer sprach zum andern: Kommt, wir wollen losen, dass wir erfahren, um wessentwillen es uns so übel geht. Und als sie losten, traf es Jona. Da sprachen sie zu ihm: Sage uns, um wessentwillen es uns so übel geht? Was ist dein Gewerbe, und wo kommst du her? Aus welchem Lande bist du, und von welchem Volk bist du?

Verhör auf dem Mittelmeer. Personalien, Heimatland, Religion. Wir sitzen alle im selben sinkenden Boot, sagen die Anhänger der Astarte und des Baal, des Eschmun und der Isis, vielleicht sogar des Siddhartha Gautama oder des Konfuzius. Sie geben alle nicht auf, weder sich noch ihre Götter. Aber sie überschreiten Grenzen. Sie bitten den fremden Flüchtling, auch zu seinem Gott zu beten. Auf dem sinkenden Schiff ist kein Platz für theologische Unterschiede, da gelten alle Religionen plötzlich gleich viel. Vielleicht ist der Flüchtling mit seinem Gebet ja die letzte Chance, uns vor dem Untergang zu bewahren. Wache und bete mit uns, Flüchtling!

Er sprach zu ihnen: Ich bin ein Hebräer und fürchte den Herrn, den Gott des Himmels, der das Meer und das Trockene gemacht hat. Da fürchteten sich die Leute sehr und sprachen zu ihm: Was hast du da getan? Denn sie wussten, dass er vor dem Herrn floh; denn er hatte es ihnen erzählt. Da sprachen sie zu ihm: Was sollen wir denn mit dir tun, dass das Meer stille werde und von uns ablasse? Denn das Meer ging immer ungestümer. Er sprach zu ihnen: Nehmt mich und werft mich ins Meer, so wird das Meer still werden und von euch ablassen. Denn ich weiß, dass um meinetwillen dies große Ungewitter über euch gekommen ist.

Jona leiert brav seinen Katechismus herunter, wie er ihn von Papa Amittai gelernt hat. Fromme Worte, aber kein Gebet dahinter, keine Hoffnung, dass der Gott des Himmels, der das Meer und das Trockene gemacht hat, der Crew irgendwie aus der Patsche helfen könnte. Der Kapitän bittet ihn um Fürbitte, aber Jona bekommt nur eine fromme Selbstvorstellung heraus. Wie dunkel und leer muss es in einem Menschen sein, wenn sein einziger Wunsch die Begleitung beim Suizid ist. Werft mich ins Meer! Mein Tod macht alles wieder gut! Ich kann besser sterben als beten. Jona, du Opferlamm! Immer bist du Opfer, Opfer eines unverstehbaren Gottes, der dich in diese Hölle Ninive schicken wollte, Opfer seines Zorns, mit dem er dir nun unbarmherzig nach dem Leben trachtet. Du zutiefst resignierter Mensch, der du deinem Gott keine Meile über den Seeweg traust! So ein Mann kann keine Initiative übernehmen. Der lässt nur noch was mit sich machen. Nicht einmal allein über Bord gehen kann er, nein, andere sollen ihn bitte in den Tod werfen.

Doch die Leute ruderten, dass sie wieder ans Land kämen; aber sie konnten nicht, denn das Meer ging immer ungestümer gegen sie an. Da riefen sie zu dem Herrn und sprachen: Ach, Herr, lass uns nicht verderben um des Lebens dieses Mannes willen und rechne uns nicht unschuldiges Blut zu; denn du, Herr, tust, wie dir's gefällt. Und sie nahmen Jona und warfen ihn ins Meer. Da wurde das Meer still und ließ ab von seinem Wüten. Und die Leute fürchteten den Herrn sehr und brachten dem Herrn Opfer dar und taten Gelübde.

Die multireligiöse Matrosentruppe gibt ihren Flüchtling nicht auf. Sie tut alles Menschenmögliche, um diesen seltsamen Hebräer, der nicht beten kann oder will, zu retten. Im Gegensatz zu Jona versucht sie es wenigstens und kämpft gegen die Wellen an. Das spricht für sie. Vielleicht stand ja im Gesetz der Astarte, des Emusch oder der Isis dieser eine Satz: Man lässt keine Menschen im Mittelmeer ertrinken.

Doch auch die fremdfromme Seefahrt gerät an ihre Grenzen. Aber sie tut etwas, worauf Jona das ganze Bibelkapitel nicht gekommen ist: Sie betet zum Gott des Hebräers und fleht um Vergebung. Erst dann wirft sie den Propheten, der keiner sein will, ins Meer. Weg ist er. Und der Sturm legt sich.

Ist das nicht tragisch, liebe Schwestern und Brüder: Der gerade abgetauchte Prophet, der keiner sein will, bekommt seinen ersten Missionserfolg selber gar nicht mehr mit. Auf der Linie Jafo – Tarsis bekehrt sich eine komplette Schiffbesatzung zum Gott Israels. Wer hätte das gedacht? Jona bestimmt nicht. Damit hätte die Geschichte zu Ende sein können - unten, 20.000 Meilen unter dem Meer. Aber Sie wissen ja schon aus dem Kindergottesdienst: Es geht weiter…

Aber der HERR ließ einen großen Fisch kommen, Jona zu verschlingen. Und Jona war im Leibe des Fisches drei Tage und drei Nächte.

Streiten wir uns jetzt mal nicht über zoologische Feinheiten, ob der Fisch ein Fisch oder ein Säugetier gewesen ist. Auch nicht darüber, wie lange man da unverdaut überleben kann… Unsere Geschichte nimmt eine wundersame Wendung. Uns beschleicht der Gedanke, dass der Gott des Himmels nicht allein die 120.000 Menschen in Ninive durch Jona wieder auf Kurs bringen wollte, sondern dass er parallel dazu noch einen anderen Plan hatte: Einen Missionar zu missionieren, einen halb bis ganz Frommen, der nicht glauben mag, dass der Gott des Himmels zeitweilen mit Überraschungen arbeitet, der auch dort Wege findet, wo wir längst am Ende sind.

Das Gebet des Jona, das wir vorhin als Psalm sprachen, hat eigentlich seinen Platz in der Liturgie am Karsamstag. Unser Glaubensbekenntnis „am dritten Tage auferstanden von den Toten“ verband schon das Neue Testament mit der der dreitägigen Walfahrt des Jona. „Hier aber ist einer, der mehr ist als Jona“, schreibt Matthäus. Denn im Gegensatz zum Propheten, der keiner sein wollte, ging Christus aus freien Stücken dorthin, wo er nie, nie sein wollte: ans Kreuz.

Beide lässt der Gott des Himmels nicht in der Tiefe des Todes. Ehe Jona wieder Land sieht, hat er die Qual im Wal: ein dreitägiger Lockdown, indem er sich selbst und seinem Gott nicht entfliehen kann. Und hier endlich, eingesperrt mit Gott, kommt er zur Besinnung.

Und der HERR sprach zu dem Fisch, und der spie Jona aus ans Land.

Da liegt er nun wie ausgespuckt liegt am Strand (im Hebräischen eigentlich eher „wie ausgekotzt“) – irgendwo in der altorientalischen Entsprechung von Walachei. Tarsis in Spanien ist es jedenfalls nicht - Alles riecht nach Lebertran. Sein Gewand, Hände, Füße, alles vollgeschleimt. Ende des Anfangs. Es geht weiter mit Jona. Ein Happy End ist aber noch lange nicht in Sicht. Es wäre gelogen zu behaupten, der Wal hätte einen gottergebenen und hundertprozentig frommen Propheten ans Land gespuckt. Sein Tiefseeturn war keine Gehirnwäsche. Eher eine Sprachreise. Denn endlich, endlich kann Jona mit Gott reden. Wortlos hatte er nach Gottes Auftrag versucht, sich nach Tarsis abzusetzen. Der frommen Seefahrt blieb er in der Not sein Gebet schuldig, erst im Bauch des Fisches findet er Rettung vor seinem Tod und seinem alten Selbst. Endlich kann der vor Gott Verstummte wieder beten.

Und so macht er ich auf nach Ninive, von der Mittelmeerküste bis in den Irak sind es ja schon ein paar Meter. Wenn Gott in meinem Tod 20.000 Meilen unter dem Meer mich retten kann, wird er wahrscheinlich auch da sein, wo ich nie, nie hinwollte.

Was hat der Prophet, der keiner sein wollte, auf seiner Walfahrt gelernt? Dass er Gott nicht entfliehen kann? Dass er keine Chance hat, sich vor Gott wegzuducken? Vielleicht würde es Jona anders formulieren: Es scheint keinen Ort zu geben, wo Gott nicht ist. Nicht einmal meine Angst, meine Verletzung, meine Hilflosigkeit sind jenseits des göttlichen Herrschaftsbereichs. Ich darf auch dort mit dem Gott des Himmels rechnen. Das heißt: Ich darf mich auf den Weg machen, auch das anzuschauen, was ich nicht mehr sehen mag. Ich darf meiner Angst, meiner Verletzung, meiner Hilflosigkeit das Du anbieten und zu Gott beten um Rettung, Heilung, Mut. Amen.

 

- Jan Freiwald, 6,7.25